„Pleased to meet you, hope you guess my name…“

Beijing, 18.02.2014

Shangri La Hotel, King Size Suite 1352

 „Pleased to meet you, hope you guess my name….let me please introduce myself: I am a man of wealth and taste……“

13. Stock über Beijing – eingeladen von Huang Nubo – einen unglaublich ungewöhnlich gewöhnlichen Tag nachwirken lassen – spontan die Rollling Stones – dark side of the usal unusal… 

Ein Abendessen in einem bodenständig traditionellen Restaurant in Beijing, ich sitze neben dem 4,3 Milliarden Milliardär Huang Nubo und und es ist das allernormal normalste der Welt, weil er der normalste, unauffällig ungewöhnlich freundlichste Mensch ist, denn man sich vorstellen kann. Bei all den Botschaftern, Wissenschaftlern und persönlichen Freunden von ihm, die er eingeladen hat, bekomme ausgerechnet ich einen der beiden Plätze neben ihm. Wooww.

Wissen, dass er seit Jahren Gedichte und Geschichten schreibt, die von den dreckigsten Seiten aller Straßen der Welt kommen, von Abfuck und Zweifel und Verzweiflung, von Schuld-Mystik und so einer merkwürdig bis kruden aufrecht gehaltenen Werte-Standarte, die anscheinend nicht weiß, ob sie an sich selbst glauben möchte oder nicht. Wissen, dass er einer ist, der es vom Straßen-Waisen-Jungen zum Multi-Milliardär geschafft hat – und schreibt Gedichte als hätte er sich in der letzen Gosse verloren.

Verwandtschaft – wie sagt man das zwischen einem chinesischen Milliardär und einem (kleinen?) deutschen künstlerischen Leiter eines Kunstzentrums in Klein-Stadt Dresden?

Bei diesem Essen heute waren Wissenschaftler, zwei Botschafter, ein anderer Unternehmer, der eine Rede wie eine performance mit reichlich Zitaten aus einer Peking-Oper auf meinen Freund, den Milliardär hält, eine 8000er-Bergsteigerin, mit der Huang Nubo den Mount Everest bestiegen hat und die mir auf dem i-phone Bilder von ihr mit dem Fahrrad auf route 66 vor ein paar Wochen zeigt und dieses Jahr noch mit dem Boot alleine den Atlantik überqueren möchte  – noch so eine starke Einsamkeitssüchtige! – großartige ruhige Augen; dann eine junge Modedesignerin, die alles andere ist als was man sich von chinesischen Frauen vorstellt, glaubt zu wissen, glaubt erlebt oder eben nicht erlebt zu haben: eine Eröffnung an Offenheit, an Selbstbewusstsein, an Charme, an Schönheit ohne hübsch zu sein, an to do what you are not supposed and not expected to do, an purer Erotik, ein Übertraum von Frau – eine Illusion von Frau, die wahrscheinlich nur wenige Männer aushalten können, vielleicht aber auch nur wenige sehen können.

Stopp, wie soll ich das erklären? dass eine junge Frau, an sich noch nicht mal übermäßig schön, aber mit einer gebenedeiten Figur – oder was ich mir darunter unkatholisch umwerfend vorstelle – mit einem Decolté eines natürlich von ihr selbst designeten Kleides, das so eben nur im Vornüberbeugen eine Ahnung wunderschöner Brüste andeutet – mehr phantasiert als wirklich sichtbar, als wäre man in einem 40er Jahre Hollywood-Film, mit einem provokantem Selbstbewusstsein und einer irrwitzigen Stil-Sicherheit auf der Grenzen balancierend, das noch die abgebufteste LA-bitch in die Knie gehen würde – und das bitte sehr in China und noch nicht mal in Shanghai!

Und dann noch ein Diplomat und noch ein Diplomat und ein Isländer, der einer der ältesten Freunde von Huang Nubo ist und mit dem ich mich beim traditionellen chinesischen individuellen Zuprosten (dazu steht man von seinem Platz auf, geht zu der Person mit der man trinken möchte und stößt mit ihr an, dabei hält man das Glas mit beiden Händen – eine Hand berührt das Glas von unten – und dann redet man eine halbe Minute oder eine Viertelstunde miteinander) in ein wunderlich wunderbares Gespräch über Hegel, Marx, Laotse, über deutsche und chinesische Denkweisen, über Kolonialismus, Kakerlaken und kulturelle Kontroversen und Missverständnisse geraten bin – gambé (oder so ähnlich klingt Prost auf chinesisch) – und wir hätten glaube ich gerne weiter darüber gesprochen.

Danach: lonesome hotel-bar im Shangri-La Hotel Beijing – Shangri-La ist ja so etwas wie der Inbegriff von Traum und Sehnsucht, das Goldland, das Glückland im Himalaya – wahrscheinlich darüber, denn es hat nie einer gefunden – keine Hotel-Bar-Atmosphäre, distinguiert aber kalt und ohne flair – China at it’s worst – danach Schreibtisch in Suite 1352: brown sugar von den Rolling Stones und Tsingtao-Bier: Rausch und Traum und mein Gott, wie wunder-bar und groß-artig ist dieses Leben – dankbar, womit habe ich das in meiner knapp über-durchschnittlichen Mittelmäßigkeit verdient? Oder ja, habe ich vielleicht schon verdient, weil ich nichts davon geschenkt, protegiert oder mit goldenem Löffel in die Wiege kriegte, weil alles, was ich bin und was ich kann und nicht kann Ergebnis meiner eigenen Kämpfe und meiner eigenen Arbeit ist, weil ich mir jeden kleinen Zentimeter meines Selbstbewusstseins erarbeiten und oft genug bezahlen musste  – mit dem Vorteil von ein paar guten Genen vielleicht und der Provokation eines auf Aussichtslosigkeit angelegten familiären Chaos, das mich stimuliert hat mich nicht unterkriegen zu lassen…

Aber dann ist da eine Straßenjunge aus China, dessen Eltern in der Kulturrevolution umgebracht wurden, ein Schicksal, das sich in anderen Dimensionen von Leid und Unglück und Katastrophe abspielt, als alles was ich aus meinem Kinderwissen erinnere, der sich aus dem Nichts zum Milliardär hoch gearbeitet hat – sympathy for the devil – pleased to meet you, hope you guess my name… – wird er wissen, wird er ganz genau wissen – vielleicht viel besser, genauer als ich, als so viele, die soviel zu wissen glauben: ein 4,3-Milliarden-Millionär, der die 8000er der Welt besteigt, und der Geschichte schreibt als hätte er mit den Kakerlaken aus der Spucke eines verendeten Alkoholikers gesoffen. 

Wie beurteilen wir das? Hobby-Autor hat ein recherchefauler deutscher Journalist geschrieben. Auf dieser Ebene von Verzweiflung, Zweifel und Kakerlaken findet kein Hobby statt.

„Beim Verlöschen eines fallenden Blattes kann es sich um die seit langem herbeigeführte Trennung eines Baumes von sich selbst handeln, oder aber um eine geheime  Vereinbarung, falls diese Vereinbarung der einzige Beweis ist, dass er je existiert hat.“ Kakerlaken-Kunde, Georg Olms Verlag 2013

Ich kann kein Wort Chinesisch, aber ich weiß, dass Übersetzungen aus dem Chinesischen nur mit sehr viel Kongenialität möglich sind, ich übersetze das mal – weil ich halt glaube, dass ich es besser weiß – wie folgt:

„Beim Sterben eines fallenden Blattes kann es sich um die schon immer vorherbestimmte Trennung eines Baumes von sich selbst handeln, oder um eine clandestine Vereinbarung für den Fall handeln, dass das Blatt der einzige Beweis dafür wäre, dass der Baum je existiert hat.“

Wer ein Kind hat, kann sich dazu bis zum Wahnsinn treibend viel ausdenken.

Jedenfalls macht das verständlichen Sinn, den man in der deutschen Sprache 2013 nachvollziehen kann. Vielleicht doch ein deutsch-chinesisches Verwandschaftsverhältnis: sympathy fort he Devil….

 

Gedankensprung – noch immer mit den Stones

„You can’t always get what you want…..“

Sorry folks, aber das absolut beste was die globale Kultur im letzen Jahrhundert hervorgebracht hat, ist der Rock’n’Roll

„…but if you try some time, you might get what you need“ ..und das mit dieser Stimme von Mick Jagger und diesem schmutzigen Honky-Tonk-Piano, den an sich selbst verrückten Congas und dem Chor, der klingt als hätten Thomaner- und Kreuz-Chor zusammen gekifft und wollten alle Kirchen der Welt zum Umsturz  bringen.

Mann, bin ich glücklich! „You can’t always get what you want“  bis zur Schmerzgrenze – „but if you try some time….“

„…but if you try some time…“ ich wusste gar nicht, dass das ein Lebensmotto für mich sein könnte….

Nach den Rolling Stones kommen in meinen i-tunes Rory Gallagher und Rustavi. Also die zärtlichste Gitarre, die ich kenne: Rory Gallagher (der ist bei dem Versuch seine tot-gesoffene Leber auszuwechseln vor ein paar Jahren gestorben). Ok, dann jetzt eben Rory Gallagher (The Taste, wie er und seine Band damals hießen – war das erste richtige wichtige life-Konzert, das ich in meinem Leben gehört und gesehen habe und ich schwöre, es hat mein ganzes Leben verändert).

Going Home – im 13. Stock über Beijing? „I am getting lonesome, I am getting blue… „ – I am going almost everywhere, but I am not going anywhere – das ist mein Normalzustand: irgendwo, immer Sehnsucht nach etwas anderem, das sich seit Jahrzehnten im Unbestimmten eines illusorischen Zuhause, das es nicht gibt, verliert – homeless, als Stolz, als Privileg, als Zustand, als Leiden, als Glück! „Going to my hometown“ (Rory): ja wohin denn: Dresden, Würzburg, Rio? Mein Gott, wenn schon, dann Hamburg, aber home? „Everybody knows this is Nowhere“ passt eher (seit ich 18 bin ist das meine Hymne von Neil Young). Ich bin 64 und das ist eines der wenigen Dinge, an denen sich mein ganzes Leben lang nichts geändert hat.

Ja, und da ist sie, die Gitarre von Rory Gallagher, für mich das zärtlichste, was man aus eine Musikinstrument herausholen kann – das war auch schon so als ich als 18-jähriger vollständig stoned und in Tanzen und Tränen aufgelöst vor seiner Bühne gestanden habe – und über Tagen und Wochen nicht aufhören konnte das immer und immer wieder nachzufühlen – „the first cut ist he deepest!“ (nicht von Gallagher)  

Vor zwei Jahren gab es ein kleines deja vu, als ich das erste Mal in Dublin war und in einer dieser vielen Guiness-Bars mit live-Musik die Musiker bat einen Rory-Gallagher-Song zu spielen und sie haben mir glatt mit einer gänsehaut-fühlbaren Ehrfurcht gesagt, dass sie sich das eigentlich nicht trauen, weil Rory Gallagher usw usw, aber sie würden es machen und sie spielten – believe it or not – Going to my hone town und die ganz Kneipe tobte und ich hab mich in Irrland verliebt und wieder geheult und getanzt. Und Monate später sagte mir Carmen, dass ich in Dublin professionell völlig abwesend war und scheinbar erst abends in den pubs aufwachte…. 

So what..? „Did you ever wake up with that bullfrogs on your mind?“

Ich bin in Beijing.

Apropos Rollling Stones und Rory Gallagher: nachdem sich Brian Jones total überdosiert stoned für immer ins galaktische swimmingpool gestürzt hatte, haben die Stones als erstes Rory Gallagher gefragt, ob er in die band eintreten würde. Rory Gallagher hat abgesagt- woowww – muss man ja bringen, der für alle vorstellbaren Ewigkeiten größten Band aller uns bekannten Zeiten und Galaxien abzusagen um in Irland Rock’n’Roll zu machen. Dann kann man auch 30 Jahre später noch mit Ehrfurcht von ihm reden.

Aber wirklich verstehen kann das glaube ich nur, wer ihn und seine Gitarre live erlebt hat. Hör Dir das an: „walk on hot coals“ aus seinem Live-In-Europe-Album , eine einzige Verliebtheit in die allerschönsten Gitarren-Riffs der Rock-Geschichte.   

Zurück zu Huang Nubo:

Wenn wir nächstes Jahr nach Deutschland zum poetry-festival kommt, würde ich sehr gerne seine Texte lesen, aber ich werde die Texte mit den Übersetzern auf jedes Wort prüfen. Ich glaube das die Übersetzungen schlecht sind, aber ich fühle mich irgendwie fast anonym mit ihm verbunden: die Freundlichkeit, der Erfolg (auch wenn sich das alles bei ihm in ganz anderen Dimensionen bewegt als bei mir) und diese dunkle andere Seite.    

Schwankend an der Grenze zur Traurigkeit:

Three Dog Night, Cassia Eller und for ever Otis Redding: 3 Versionen von „Try A Little Tenderness“

Cassia Eller (die größte Rock’n’Roll-Musikerin Brasiliens) lag sturzbetrunken in Kampnagel im Rasen, weil sie Schiss vor ihrem ersten Konzert in Europa hatte, wir haben sie solange auf einen Stuhl auf die Bühne in Kampnagel gesetzt, bis sie nicht mehr runter fiel und dann hat sie „wie im Rausch“ (klar!) gespielt, und am Ende für mich: „try a little tenderness“ gesungen. 2 Jahre später ist sie am Weihnachten in Rio an einer Überdosis von allem gestorben und wir sind auf ihr pietätloses Begräbnis gegangen (und wenn ich dran denke, schießen mir noch heut die Tränen in die Augen) und haben über Wochen und Monate die Musik von Cassia Eller mit einer Ergriffenheit gehört als wären es Gottesdienste.

Im tantrischen Buddhismus des Himalaya ist Geschlechtsverkehr eine Möglichkeit Gott oder Göttlichkeit oder Erleuchtung nah zu kommen. Rock’n’Roll bedeutet ursprünglich auch nicht anderes als „Good Fucking“…

 

Lieber Huang Nubo: heute Nacht habe ich erstmals das Gefühl, Deine Gedichte ansatzweise zu verstehen – und ich fühle mich Dir in Deiner lichten, freundlichen und in Deiner dunklen und für andere ungewissen Seite sehr verwandt – und deshalb glaube ich zwischen den Zeilen der mit Sicherheit heillos schlechtem Übersetzung Worte und Geschichten zu finden, die da auf Deutsch gar nicht stehen, die mir aber geläufig sind, da ich mich mit Krähen und Kakerlaken, mit Abgründen und dunklen Wünschen glaube ganz gut auszukennen, aber nicht nur damit: selbst die Gedanken über die Trennung von Blatt und Baum sind mir nicht fremd.

Es tut mir leid: aber die Kakerlakenkunde muss neu übersetzt werden und zwar von jemandem, der nicht nur Deutsch und Chinesisch kann, sondern in der Lage ist, Deinen Gedanken zu folgen, weil er sie selbst kennt und nachfühlen kann.

 

Jetzt ist es 4 Uhr morgens, das Bier ist alle und morgen gehe ich auf den birds-market.